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         Rezension aus: 
      Geschichte im Westen 19 (2004), H. 2, 
      S. 247-252
      Burkhard Dietz. Helmut Gabel, Ulrich Tiedau 
      (Hg.), Griff nach dem Westen. Die „Westforschung“ der völkisch-nationalen 
      Wissenschaften zum nordwesteuropäischen Raum (1919-1960), 2 Teilbände, 
      XXX, 1.296 S., Waxmann Verlag: Münster etc. 2003 (Studien zur Geschichte 
      und Kultur Nordwesteuropas, Bd. 6) 
       
      Bereits seit einigen Jahren hat die Auseinandersetzung mit der 
      „Ostforschung“ die Frage aufgegriffen, inwieweit die Wissenschaft in ihren 
      verschiedenen Disziplinen den nationalsozialistischen Expansionsdrang in 
      den Osten Europas vorbereitet, wissenschaftlich begründet und technisch 
      begleitet hat. Diese Fragestellung mündet letztlich in die Frage, 
      inwiefern sie sich damit zum Komplizen von Konzepten gemacht hat, die auf 
      eine rassistisch begründete Eroberungspolitik und letztlich auf Völkermord 
      zielten. Die genauere Analyse ergab dabei, daß derartige Vorstellungen 
      ihre Wurzeln in älteren Denkweisen hatten und sich während der 
      NS-Herrschaft radikalisierten. 
       
      Die kritische Auseinandersetzung mit der „Westforschung“ ist demgegenüber 
      später, d.h. im wesentlichen erst im letzten Jahrzehnt, in Gang gekommen, 
      hat aber wichtige Impulse durch die kritische Bearbeitung der 
      „Ostforschung“ erhalten. Sie hat rasch an Intensität gewonnen und ist 
      insbesondere durch den Historikertag 1998 in Frankfurt/Main auch zum 
      Gegenstand der kritischen Auseinandersetzung der Disziplin mit der eigenen 
      Vergangenheit geworden. Zentrales Thema ist die besonders in der 
      Zwischenkriegszeit intensiv betriebene Beschäftigung deutscher Historiker 
      und Sprachforscher, aber auch Geographen und Soziologen mit Gebieten 
      jenseits der aktuellen Grenzen im Sinne der Erforschung eines „völkisch“ 
      germanisch/deutsch geprägten Raumes, insbesondere unter den Kategorien 
      Volk(stum) und Kulturraum. Auslöser für eine intensivere Diskussion dieses 
      Themas war die Auseinandersetzung um Franz Petri, seine Forschungen und 
      nicht zuletzt seine Rolle in der Kulturpolitik Belgiens während der 
      deutschen Militärverwaltung (Ditt, Oberkrome, Fahlbusch, Schöttler). Eine 
      besondere Zuspitzung hat diese Diskussion durch die provokante, gleichwohl 
      den Finger auf zentrale Probleme legende Publikation des niederländischen 
      Soziologen H. Derks erhalten, der einen lange angelegten, noch andauernden 
      (Kultur)Imperialismus der deutschen „Westforschung“ unterstellt (dazu 
      Ulrich Tiedau in: GiW 17 [2002], S.245-255). Diese Diskussion betrifft 
      Institutionen und Personen, aber auch Methodik und Inhalt der Landes- und 
      der Regionalgeschichte in Deutschland und den westlichen Nachbarländern 
      wie schließlich auch ihre politische Funktion. Das Konzept der 
      vorliegenden Publikation ist bereits 1999 von B. Dietz, einem der 
      Herausgeber, in dieser Zeitschrift vorgestellt worden (GiW 14 [1999], S. 
      189-209). 
       
      Die in zwei umfangreichen Teilbänden vorgelegte Sammlung von Beiträgen 
      läßt erst im Untertitel das eigentliche Thema erkennen. Die Untersuchungen 
      beziehen sich auf den „nordwesteuropäischen“ Raum, definiert als Belgien, 
      Niederlande und Luxemburg. Für den „südwestlichen“ Bereich ist eine 
      Folgepublikation angekündigt. Obwohl die Entwicklungen in der NS-Zeit Kern 
      und Mittelpunkt der Auseinandersetzungen bilden, nimmt die „Vorgeschichte“ 
      der Westforschung ebenso breiten Raum ein wie die Frage der Kontinuität 
      nach 1945. 
       
      Die Publikation vereinigt Beiträge vor allem jüngerer Historiker aus 
      Deutschland und den betroffenen Nachbarländern, die in jüngster Zeit zu 
      diesem Themenbereich gearbeitet haben oder deren Arbeiten vor der 
      Publikation stehen. Sie gliedert sich – neben einem einleitenden 
      Forschungsüberblick der Herausgeber – in vier Teile, deren Einteilung 
      freilich wenig trennscharf ist. Teil I („Übergreifende Beiträge“) 
      behandelt Grundfragen und zentrale Kategorien in längerfristiger 
      Perspektive, nicht immer strikt auf das Thema der „Westforschung“ bezogen. 
      So erörtert H. Lademacher den engen Zusammenhang von Politik und 
      Wissenschaft nicht nur in der Kulturraumforschung der 20er Jahre, sondern 
      nach 1945 im Prozeß der grenzüberschreitenden europäischen Einigung und im 
      Konzept einer Euregio. S. Haas untersucht wissenschaftsgeschichtlich „Transdisziplinarität 
      als Thema der kultur- und sozialgeschichtlichen Forschung im frühen 20. 
      Jahrhundert“ und stellt seit Ende der 20er Jahre zunehmend das Eindringen 
      von modernitätsfeindlichen Einstellungen und irrationalistischen 
      Kategorien („Volk“, „Rasse“) fest. Bei zwei der zentralen Kategorien, 
      „Kulturraum“ und „Volksboden“, konstatiert T. Kleinknecht bereits vor 1933 
      Tendenzen zur imperialen Expansion und gegenaufklärerischen 
      Deutungsmustern. Bei einer anderen zentralen Kategorie, der der „Planung“, 
      verweist D. van Laak auf die Tatsache, daß die „Vorstellung einer 
      planmäßigen Neuordnung im völkischen Sinne“ auf Vorstellungen in der 
      Weimarer Zeit aufbauen konnte und daß es in der NS-Zeit eine Koexistenz 
      von „völkischer“ („organischer“) und „technokratischer“ 
      („organisatorischer“) Planung gab mit zerstörerischen Konsequenzen. P. 
      Heil behandelt – ausgehend von institutionellen und personellen 
      Kontinuitäten von der NS-Zeit zur Bundesrepublik – das Selbstbild von 
      Raumplanern als (unpolitischen) Sozialtechnikern. 
       
      Teil II diskutiert in 15 Beiträgen „Inhaltliche und ideologische 
      Grundlagen der ‚Westforschung’“. W. Dolderer untersucht das 
      Wechselverhältnis zwischen den verschiedenen Zweigen des flämischen 
      Nationalismus und der deutschen Politik zwischen den beiden Weltkriegen, 
      insbesondere in der Weimarer Zeit. Das zunehmende Interesse an der 
      Westgrenze seit dem Ersten Weltkrieg und Versailles drückt sich auch in 
      der Interpretation der Bedeutung bestimmter historischer Ereignisse und 
      Entwicklungen im Spannungsfeld zwischen Deutschland und Frankreich aus: 
      Burgund und der Neusser Krieg 1474/75 (H. Müller), der Westfälische 
      Frieden 1648 (J. Arndt), die religionsgeschichtliche Interpretation des 
      Calvinismus in seiner Bedeutung für das nationale Bewußtsein in den 
      Niederlanden (S. Ehrenpreis). 
       
      Andere Beiträge befassen sich mit der Frage, wie sich in der 
      Zwischenkriegszeit die Diskussion um die völkische Zugehörigkeit in bezug 
      auf die westlichen Nachbarländer und -regionen entwickelt hat. Dieser 
      Aspekt wird zunächst am Beispiel einiger bemerkenswerter Vertreter der 
      Westforschung behandelt. M. Pitz erörtert Petris vieldiskutierte 
      Habilitationsschrift in inhaltlich-methodischer und 
      forschungsgeschichtlicher Perspektive. Einem weniger bekannten Vertreter 
      der Volksgeschichte, Robert Paul Oszwald, der als Publizist und Historiker 
      sowie im Ersten Weltkrieg in Belgien und im Zweiten in den Niederlanden 
      als Mitarbeiter der deutschen Zivilverwaltung völkische Vorstellungen 
      vertrat, widmet S. Laux eine Untersuchung. Die Untersuchung von B. Henkes 
      und B. Rzoska schließlich gilt der Rolle des Germanisten Schneider, dessen 
      nach 1945 angenommene Identität Schwerte erst 1995 enthüllt wurde, in der 
      „Volkstunispolitik“ der SS („Ahnenerbe“) in den Niederlanden. Zudem 
      erörtert ein Beitrag von I. Van Linthout das unter unterschiedlichen 
      politischen Zielsetzungen wechselnde Bild Flanderns und seiner Literatur 
      in der deutschen Literaturkritik während der NS-Zeit. 
       
      Mehrere Artikel konzentrieren sich auf den Beitrag einzelner Disziplinen 
      zur „Westforschung“: U. Halle den der Archäologie (Tackenberg, v. Stokar), 
      C. Klingemann den der Soziologie (Ipsen, Boehm, Eschmann, Neundörfer) 
      sowie B. Rzoska/B. Henkes den der Volkskunde. 
       
      Eine weitere Gruppe von Beiträgen betreffen einzelne Regionen des 
      „Westraumes“. Der Löwener Historiker M. Beyen („Eine lateinische Vorhut 
      mit germanischen Zügen“) untersucht die Herausstellung der germanischen 
      Komponente in der wallonischen Geschichte und Kultur durch wallonische und 
      deutsche Gelehrte zwischen 1900 und 1940. Seit den 20er Jahren gerät auch 
      Luxemburg immer stärker ins Blickfeld der Bonner landes- und 
      volkskundlichen Kulturraumforschung (K. Freckmann). Besonders politisiert 
      war die volkstumspolitische Argumentation im Hinblick auf das durch die 
      Versailler Verträge Belgien zugeschlagene und 1940 wieder Deutschland 
      angegliederte Eupen-Malmedv (C. Lejeune). Lademacher schließlich 
      diskutiert die Rolle zwischenstaatlicher Organisationen, insbesondere der 
      Deutsch-Niederländischen Gesellschaft in den Beziehungen beider Länder in 
      der Zwischenkriegszeit. 
       
      Teil III befaßt sich mit Organisationen, Instituten und Initiativen der 
      „Westforschung“. M. Fahlbusch diskutiert die Deutschtumspolitik der 
      Westdeutschen Forschungsgemeinschaft, Teil der Volksdeutschen 
      Forschungsgemeinschaften und hervorgegangen aus der 1931 gegründeten 
      Rheinischen Forschungsgemeinschaft, ergänzt durch einen kurzen Beitrag von 
      L. Mertens über die Förderung der „Westforschung“ durch die Deutsche 
      Forschungsgemeinschaft nach 1933. Wichtigstes Zentrum der „Westforschung“ 
      war die Universität Bonn, deren Rolle als „geistige Festung an der 
      Westgrenze“ H.-P. Höpfner untersucht. In den Band aufgenommen wurde die 
      bereits 1996 von M. Nikolay-Panter durchgeführte Untersuchung über 
      Geschichte, Methode und Politik des Bonner Instituts für die 
      geschichtliche Landeskunde der Rheinlande zwischen 1920 und 1945. 
      Übernommen aus einer Examensarbeit wurde der Beitrag von W. Maxim über 
      politische „Frontabschnitte“ der Auseinandersetzung der Bonner Schule 
      (Saarabstimmung, Luxemburg, Niederlande, Belgien, Prinz Eugen). Auch die 
      Technische Hochschule Aachen beteiligte sich als „Grenzlandhochschule“ auf 
      dem Gebiet der Geographie und Raumforschung sowie mit einem „Deutschen 
      Institut“ auf dem Feld völkisch-aktionistischer Grenzlandpolitik. 1943 
      wurde die in Amsterdam erscheinende Zeitschrift „Westland“ zum Treffpunkt 
      der deutschen und niederländischen „Westraumforscher“ (G. R. Zondergeld). 
      Die Bedeutung des Deutsch-Niederländischen Forschungsinstituts an der 
      Universität Köln schildert Marta Baerlecken, vor 1945 Assistentin Petris, 
      danach langjährige Lektorin für Niederländisch in Köln, im Rahmen eines 
      von U. Tiedau eingeleiteten Zeitzeugenberichts. Eher eine Randerscheinung 
      – mit freilich symptomatischem Charakter – war das von Karl Wülfrath in 
      Köln aufgebaute „Rheinische Provinzialinstitut für Sippen- und 
      Volkskörperforschung“, das NS-Rassepolitik praktisch umsetzte (R. Klein). 
       
      Wesentlich gefördert wurde die „Westforschung“ durch den Provinzialverband 
      der Rheinprovinz, mit defensiven Intentionen in der Weimarer Zeit, mit 
      aggressiven und expansiven in der NS-Zeit (W. F. Werner). Einen bisher 
      unerforschten Akteur auf diesem Feld behandelt T. Müller mit der Abteilung 
      G (Grenzland) des Reichsinspekteurs der NSDAP und rheinischen 
      Landeshauptmanns Haake, die eine Steuerung der Volkstumsarbeit im 
      westlichen Grenzraum beanspruchte. F.-R. Hausmann untersucht die Tätigkeit 
      des als Instrument der deutschen Kultur- und Besatzungspolitik 1941 
      gegründeten Deutschen Wissenschaftlichen Instituts in Brüssel. Grundlinien 
      der deutschen auswärtigen Kulturpolitik in den Niederlanden seit dem 
      Ersten Weltkrieg auf den Gebieten Kunst, Film, Wissenschaft, 
      „Auslandsdeutschtum“ und deutsche Schulen skizziert M. Kröger. 
       
      Teil IV („Einzelne ‚Westforscher’ und Kontinuitäten der ‚Westforschung’ 
      nach 1945“) rückt einzelne deutsche und niederländische Vertreter der 
      „Westforschung“ ins Blickfeld. Der bereits 1996 erschienene (hier gekürzte 
      und überarbeitete) Beitrag von K. Ditt über Petri steht am Anfang der 
      intensiveren Auseinandersetzung mit diesem Thema und behandelt eine der 
      Schlüsselfiguren auf dem Weg von einer wissenschaftlich innovativen, 
      politisch konservativen Kulturraumvorstellung hin zu einem politisierten, 
      im Krieg schließlich auch rassisch begründeten Raumkonzept, das er im 
      Rahmen seiner politischen Tätigkeit in Belgien auch praktisch umzusetzen 
      half. K. Pabst zeichnet mit dem Werdegang des Kölner Mediävisten Gerhard 
      Kallen das Bild eines „durchschnittlichen“ bürgerlichen Historikers, der 
      1933 auf die Linie des Nationalsozialismus einschwenkte, diesen auch – 
      abgesehen von rassistischen Positionen – aktiv vertrat und nach 1945 im 
      Grunde ohne Bruch seine akademische Laufbahn fortsetzen konnte. 
      Aufschlußreicher noch ist das Beispiel des Bonner Historikers Leo Just (M. 
      F. Feldkamp), in dessen akademische Anfänge der Beginn der NS-Herrschaft 
      fiel und der sich mit dem System vor allem dadurch arrangierte, daß er von 
      der Reichskirchenforschung auf die „Grenzlandforschung“ umschwenkte. Als 
      einer von ganz wenigen Hochschullehrern hat sich Just nach 1945 zu seinem 
      Fehlverhalten bekannt. Früher und intensiver trat der Bonner 
      Kunsthistoriker Alfred Stange, dessen Werdegang und Aufstieg N. Doll 
      verfolgt, zum Nationalsozialismus in Beziehung. Er suchte die Prinzipien 
      von Volk und Raum auf eine neu entwickelte, vor allem in den „Westraum“ 
      ausgreifende „Kunstgeographie“ zu übertragen. Mehr eine Außenseiterfigur 
      war der früh verstorbene Christoph Steding (H. Gabel), der in seinem 1938 
      erschienenen Werk „Das Reich und die Krankheit der europäischen Kultur“ 
      insbesondere niederländische Vorstellungen von Neutralität und Aufklärung 
      attackierte. Mit Alfred Toepfer rückt J. Zimmermann eine Persönlichkeit 
      ins Blickfeld, die nicht als Forscher, sondern als Stifter eine Reihe von 
      Preisen und Förderer der Beziehungen zum westlichen Ausland in Erscheinung 
      trat, der sich aber in der NS-Zeit zunehmend in den Dienst 
      nationalsozialistischer Kulturpolitik stellte. 
       
      Mit dem niederländischen Germanisten Jan van Dam präsentiert P. J. 
      Knegtmans einen nach Deutschland orientierten, pädagogisch interessierten 
      Wissenschaftler, dem von der deutschen Militärverwaltung die Leitung des 
      Unterrichtswesens übertragen wurde. Im letzten der biographischen Beiträge 
      schließlich behandelt J. Lerchenmueller die Niederlande-Arbeit des 
      Germanisten Schneider/Schwerte von den 1930er bis zu den 50er Jahren, d.h. 
      von seiner Arbeit in der SS-Organisation „Ahnenerbe“ bis zu seinen 
      Nachkriegspublikationen, die trotz des Bezugsrahmens Europa die völkischen 
      Grundideen durchscheinen lassen. Abgeschlossen wird der Band durch B. 
      Rusineks Beitrag „‚Westforschungs'-Traditionen nach 1945“, in dem er am 
      Beispiel der Entwicklung des Bonner Instituts für geschichtliche 
      Landeskunde das Problem der Kontinuität behandelt. Er steht in gewisser 
      Weise für eine fehlende Zusammenführung der Ergebnisse. 
       
      Die Publikation spiegelt nicht nur einen neuen Forschungsstand. Sie macht 
      auch den veränderten Zugang im Umgang mit der nationalsozialistischen 
      Vergangenheit deutlich: den kritischen Umgang mit Nestoren des eigenen 
      Faches, die Unterscheidung von methodisch-inhaltlichen und politischen 
      Aspekten der Forschung wie auch deren Verknüpfung, ein breiteres 
      Verständnis von „nationalsozialistisch“ als nur NSDAP-Zugehörigkeit oder 
      Zeitpunkt des Parteieintritts. Sie läßt – über das eigentliche Thema 
      hinaus – das Zusammengehen von bürgerlich-konservativen und 
      nationalsozialistischen Kräften zu Beginn des NS-Systems, deren 
      weitgehende Verschmelzung und weitere Radikalisierung vor allem im Krieg 
      wie schließlich den nahezu geräuschlosen Rückzug auf konservative 
      Positionen nach 1945 erkennen. Die 43 Beiträge der Publikation bieten 
      insgesamt ein weites Panorama der auf dem Gebiet der „Westforschung“ 
      tätigen Personen und Institutionen und ihrer unterschiedlichen Interessen. 
      Sie lassen die Gefahren von auf „Volk“, „Rasse“ und „Raum“ gegründeten 
      Wissenschaftsdisziplinen ebenso erkennen wie das Ausmaß der aktiven 
      Mitwirkung von Wissenschaftlern an der expansiven Eroberungspolitik der 
      Nationalsozialisten im Westen Europas. Sie machen damit aber auch bewußt, 
      wie stark Wissenschaftler sich politisch haben instrumentalisieren lassen 
      und – aus unterschiedlichen Motiven – aus eigenem Antrieb in den Dienst 
      politischer Zielsetzungen getreten sind. Rusinek stellt dies unter dem 
      Aspekt der Kontinuität in eine aus der Gegenwart weit in das 19. 
      Jahrhundert reichende Entwicklungslinie der Geisteswissenschaften, die auf 
      mehreren Ursachen gründete: 1. Rekurs auf das National-Vaterländische und 
      Nationalpädagogische aus der Konkurrenz zu den Naturwissenschaften, 2. 
      vaterländische Praxisrelevanz als drohende Marginalisierung der 
      Geschichtswissenschaft, 3. Blick auf die Massen als Wendung gegen die 
      historistische „Große-Männer-Methode“, 4. interdisziplinäre Arbeitsweisen 
      analog zu den Naturwissenschaften. Diese strukturellen Übereinstimmungen 
      verdecken freilich die Tatsache, daß mit dem unterschiedlichen Charakter 
      und den sehr verschiedenen Zielsetzungen der jeweiligen politischen 
      Systeme sich die politisch-moralischen Grundfragen für Wissenschaftler in 
      neuer Dimension und damit letztlich auch prinzipiell anders stellten. Die 
      Beiträge lassen in ihrer Fülle erkennen, daß – wenn auch nicht bezüglich 
      der praktischen Umsetzung, so doch zumindest in ihrem Umfang – Parallelen 
      zur Ostforschung bestanden, an der zudem eine Reihe der „Westforscher“ 
      praktisch beteiligt waren. Dieser etwa bei Maßnahmen wie der Rekrutierung 
      „germanischer“ Siedler für die Ostsiedlung konstatierte Zusammenhang wird 
      freilich nicht systematischer entwickelt. 
       
      Im Rahmen einer Rezension können die vielfältigen Einzelergebnisse nicht 
      adäquat gewürdigt werden. Die Beiträge lassen in ihrer Gesamtheit auch 
      offen, inwieweit in bezug auf die beteiligten Wissenschaften von einem 
      „Griff nach dem Westen“ gesprochen werden kann, d.h. zugleich, ob die 
      Arbeit der „Westforscher“ in Deutschland und den Nachbarländern eine über 
      – wie von mehreren Autoren betont – Legitimation, Propaganda und 
      politische Flankierung der nationalsozialistischen Politik hinausgehende 
      Funktion gehabt haben. Dies wirft – über die intensiv mitbehandelten 
      einschlägigen SS-Organisationen hinaus – in stärkerem Maße die Frage nach 
      der Rolle der eigentlich politischen Akteure in diesem Feld (Hitler, 
      Himmler, Militärverwaltung, Gauleiter/Reichskommissare, Regierungen der 
      besetzten Länder) ebenso auf wie Fragen nach militärischen und vor allem 
      wirtschaftlichen Interessen. 
       
      Die in Anlage, Entstehung und Interessen sehr unterschiedlichen 
      Einzelbeiträge der Publikation enthalten – nicht nur bezüglich von 
      Personen wie Petri, Steinbach, Schneider/Schwerte oder Zender – zahlreiche 
      Überschneidungen und Wiederholungen bis hin zu den Zitaten. Die 
      Benutzbarkeit wird erleichtert durch einen umfangreichen Anhang mit 
      englisch- und französischsprachigen Zusammenfassungen, Registern zu 
      Personen sowie Institutionen und Zeitschriften, einem 
      Abkürzungsverzeichnis und Angaben zu den Autoren der Beiträge. 
       
      Insgesamt bietet die Publikation eine Fülle von Anregungen und bildet eine 
      Plattform für die weitere Forschung auf einem Gebiet, das Grundfragen von 
      Funktion, Methoden und Inhalt der modernen Geschichtswissenschaft, 
      insbesondere der Landesgeschichte, aufwirft. 
  
      
      Erftstadt, Horst Matzerath 
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