Rezension aus: Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins 98 (1997/98), S. 296 f
Die Beiträge des höchst anregenden, thematisch
breit angelegten Bandes gehen auf eine Tagung „Konfessionalisierung im
Bergischen Land (16.-18. Jahrhundert)“ in der Thomas-Morus-Akademie in
Bergisch Gladbach von Anfang 1995 zurück. Damit rückt die bisher
vernachlässigte bergische Region in das Blickfeld der jüngeren
Konfessionalisierungsforschung. In einer Zeit der Prägung des religiösen
Bekenntnisses durch den Landesherrn war das Herzogtum Berg ein frühes
Beispiel mischkonfessioneller Bevölkerung, wobei von 50% Katholiken und je
25% Reformierten und Lutheranern ausgegangen werden kann. Kirchen- und
mentalitätsgeschichtlich wichtig wurde der rheinische Protestantismus auch
mit der frühen Ausbildung einer presbyterial-synodalen Struktur anstelle
des landesherrlichen Kirchenregiments.
In den beiden einleitenden Beiträgen von Stefan
Ehrenpreis und Winfried Schulze wird das „Forschungskonzept
‚Konfessionalisierung‘“ begrifflich geschärft und in seinen Schwerpunkten
und Desideraten vorgestellt. Konfessionalisierung beinhaltet den Wandel
vom bloß landesherrlichen Kirchenregiment und vom bloßen Vollzug
vorgegebener Riten hin zum individuellen Bekenntnis des reformierten,
lutherischen oder katholischen Glaubens mit seiner Konsequenz einer
kritischen Sicht von kirchlicher und weltlicher Obrigkeit, die eine
modernisierende Wirkung auf Staat und Gesellschaft, auf Politik, Kirche,
Gesellschaft und Alltag hatte. Das zweite Kapitel des Buches gilt dem
Thema „Politische Strukturen und Konfessionsbildung“. Hier geht es um die
Kirchenpolitik der sogenannten „guten Ordnung“ (Wilhelm Janssen) im
Herzogtum Berg, um die Kirchenpolitik der Kölner Erzbischöfe (Stephan Laux),
die katholischen Pfarrgemeinden in Deutz (Thomas P. Becker), um das
Verhältnis der Obrigkeit und der Konfessionen zu den Täufern im Herzogtum
Berg (Stefan Ehrenpreis), Konfessionsfragen in den Beziehungen zwischen
Jülich-Kleve-Berg und Hessen (Gregor Horstkemper), das delikate Problem
einer Leichenpredigt auf eine reformierte Herzogin am katholischen Hof
(Rudolf Mohr), die Konfessionalisierung im Bergischen und in Köln im
Spiegel von Kammergerichtsprozessen (Bernhard Ruthmann) und die Protektion
des Protestantismus gegenüber dem katholischen Herzog durch evangelische
bergische Grafen (Harm Klueting). Das dritte Kapitel widmet sich dem
„Aufbau konfessioneller Strukturen und [der] Konfessionalisierung in der
Gesellschaft“. Kurt Wesoly liefert einen instruktiven Überblick über die
Reformation im Bergischen Land. Weitere Einzelbeiträge gelten der
Kirchenordnung reformierter niederbergischer Gemeinden (Volkmar Wittmütz),
der Armenversorgung der reformierten Gemeinde Radevormwald (Wolfgang
Motte), der evangelischen, nicht von vornherein reformierten Barmer Schule
(Hans Joachim de Bruyn-Ouboter) und den kunstgeschichtlich bedeutenden
Kirchen des „Bergischen Typs“ (Wera Groß). Die drei abschließenden
Beiträge von Burkhard Dietz, Jörg Engelbrecht und Wolfgang Degenhardt
nehmen das Verhältnis von Protestantismus und dem außerzünftischen
Unternehmertum vor dem Hintergrund der Max Weberschen These von der
protestantischen Ethik als Vehikel des kapitalistischen Geistes in den
Blick. Ein umfangreiches Register (einschließlich Sachregister) schließt
den Band, der ein breites Publikum verdient, ab.
Die Herausgeber beklagen zurecht, daß dem
bergischen Katholizismus vergleichsweise zu geringer Raum (vor allem im
dritten Kapitel) gewidmet wurde. Dem steht ein spezifisch bergisch
geprägter Beitrag zur Konfessionalisierung gegenüber, bei dem die
Konfessionalisierung von unten durch obrigkeitliche Einflüsse von
außerhalb ergänzt wurden, während „Agenten der Obrigkeit“ aus den
städtischen Eliten sozialdisziplinierende Maßnahmen in den gemeindlichen
Presbyterien ausübten; hinzu kommt der sozioökonomische Zusammenhang
zwischen Zentren protestantischer Konfession und Zentren der Proto- und
Frühindustrialisierung vor allem im Wuppertal. Ehrenpreis ist zuzustimmen,
daß bei regional differenzierter Gewichtung des Faktors Konfession die
„nordwestdeutsche Region des Reiches [...] als Beispiel für eine Erklärung
des Wandels von der altständischen zur modernen Gesellschaft dienen“
könnte.
Horst Sassin,
Solingen
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