Rezension für: „Server Frühe Neuzeit“, München, und Server „Humanities.
Sozial- und Kulturgeschichte“, Berlin
„Cuius regio, eius religio“ – diese Kurzformel
frühneuzeitlicher Herrschaftspraxis bestimmte lange Zeit den Blick im
Bereich der Konfessionalisierungsforschung. Aber wie verhält es sich mit
Regionen, in denen es dem Landesherrn nicht gelang, eine Konfession für
alle Untertanen verbindlich durchzusetzen? Wie der Titel des hier zu
rezensierenden Sammelbandes bereits verrät, handelt es sich bei dem
Herzogtum Berg um ein solches gemischtkonfessionelles Territorium. In
insgesamt 18 Aufsätzen wird in diesem Sammelband der Versuch unternommen,
den Prozeß der Konfessionalisierung für diese Region auf verschiedenen
Ebenen nachzuzeichnen. Herausgegeben wurde der Band im Jahr 1999 in der
Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte von Burkhard
Dietz und Stefan Ehrenpreis. Das Buch ist Ergebnis einer Tagung, die im
Januar 1995 in Bergisch Gladbach unter dem Titel „Konfessionalisierung im
Bergischen Land“ stattfand. Die Herausgeber benennen in ihrem Vorwort drei
vorrangige Anliegen, die sie mit dieser Veröffentlichung verfolgen:
Erstens wollen sie an die lange Tradition der rheinischen Religions- und
Sozialgeschichte anknüpfen und dabei durch die umfassende Konzeption der
Thematik neue Akzente in der regionalen Geschichtswissenschaft setzen,
zweitens wollen sie die verschiedenen Forschungsperspektiven im Bereich
der Konfessionalisierungsforschung diskutieren und hier vor allem die
„rivalisierenden Denkmodelle von ‚Konfessionalisierung‘ bzw.
‚Konfessionsbildung‘ auf den Prüfstand der regionalen
Geschichtsbetrachtung stellen“. Drittens soll schließlich durch diese
Arbeit eine Forschungslücke geschlossen werden, indem erstmals ausführlich
die Konfessionalisierung einer gemischtkonfessionellen Region als
Fallanalyse dargestellt wird. Der umfangreiche Band mit insgesamt 550
Seiten ist thematisch in drei Hauptabschnitte gegliedert.
Im ersten Abschnitt diskutieren Stefan Ehrenpreis
und Winfried Schulze das Forschungskonzept „Konfessionalisierung“. Gemäß
den Absichten der Verfasser, die verschiedenen Forschungsrichtungen
aufeinander zu beziehen und zu überprüfen, ist eine solche Einführung, die
die verschiedenen Positionen in ihrer Entwicklung und Leistung für die
Wissenschaft darlegt, sicherlich zu begrüßen. Stefan Ehrenpreis führt in
seinem Beitrag „Konfessionalisierung von unten. Konzeption und Thematik
eines bergischen Modells?“ (S. 3-13) in die besonderen Bedingungen der
Konfessionalisierung im Bergischen Land ein und stellt die Frage, welche
neuen Perspektiven sich für die Forschung im Hinblick auf eine Analyse
dieser Region ergeben. Nun ist nach Meinung des Verfassers gerade die
Untersuchung einer solchen gemischtkonfessionellen Region von besonderem
Interesse, da die Koalition von Herrschaft und Kirchenleitung in einem
solchen Fall zu relativieren ist. Ehrenpreis erkennt hierin einen
eigenständigen gemischtkonfessionellen Typus der Konfessionalisierung.
Wenn aber obrigkeitlicher Wille und Konfessionsbildung nicht konvenieren,
erscheint es Ehrenpreis in Anlehnung an H.R. Schmidt dringend geboten, den
etatistischen Blick auf die Konfessionalisierung durch die Perspektive der
Konfessionsbildung von unten zu ergänzen.
Winfried Schulze geht es in seinem Beitrag
„Konfessionalisierung als Paradigma zur Erforschung des konfessionellen
Zeitalters“ (S. 15-30) vor allem darum, den Begriff Konfessionalisierung
und die sich daraus ableitenden unterschiedlichen Forschungspositionen zu
klären. Schulze gibt dabei einen überaus informativen Überblick über die
historiographische Begrifflichkeit und die zugrundeliegenden Theorien in
bezug auf das konfessionelle Zeitalter von Ranke bis heute. Schulze
unterscheidet dabei deutlich das Zeedensche Konzept der
„Konfessionsbildung“ vom Begriff der „Konfessionalisierung“, der
heutzutage sehr unterschiedliche Sichtweisen abdeckt. Nach Schulze
verwendet H. Schilling den Begriff als eine Zeitalterthese, indem er die
Konfessionalisierung als Fundamentalvorgang begreift, ohne den sich andere
Entwicklungen nicht hinreichend erklären lassen. In diesem Sinn spricht
Schilling – die Terminologie Kosellecks aufgreifend – von einer
„Vorsattelzeit der Moderne“ für das ausgehende 16. und das 17.
Jahrhundert. Während Schulze dem Konzept der Konfessionsbildung eine
bewiesene Tragfähigkeit zuspricht, hält er das weitgefaßte Konzept
Schillings hingegen für nicht ausreichend untermauert. Seiner Meinung nach
lassen sich im konfessionellen Zeitalter sehr wohl Entwicklungslinien ohne
die vorrangige Beachtung der Konfession zeichnen. Schulze verweist mit
Blick auf die Forschungslage anderer europäischer Länder darauf, daß
Deutschland mit einem derart umfassenden Konfessionalisierungskonzept
einen Sonderweg in der Frühneuzeitforschung beschreitet. Außerdem sind für
ihn viele Fragen in diesem Zusammenhang noch völlig offen, zum Beispiel
die Frage danach, wie sich Sozialdisziplinierung und Konfessionalisierung
überhaupt zueinander verhalten. In welchem Maße gelang es der Obrigkeit,
Verhaltensdispositionen so zu verändern, dass man von der Ausbildung einer
neuen Mentalität sprechen kann? Um den Zusammenhang von Disziplinierung
von oben und Selbstdisziplinierung des Einzelnen weiter zu erschließen,
plädiert Schulze ebenso wie Ehrenpreis dafür, den Blick nicht allein auf
staatliche Verordnungen zu lenken, sondern auch auf die Ebene der Gemeinde
sowie der individuellen Wahrnehmung.
In einem zweiten Abschnitt wird der Frage
nachgegangen, in welchem Verhältnis „politische Strukturen und
Konfessionalisierung“ zueinander stehen. In acht Aufsätzen wird diese
Thematik aus unterschiedlichster Perspektive behandelt, sie seien
exemplarisch vorgestellt: Wilhelm Janssen zeigt in seinem Aufsatz „Gute
Ordnung als Element der Kirchenpolitik in den vereinigten Herzogtümern
Jülich-Kleve-Berg“ (S. 33-48), dass das Konfessionalisierungskonzept für
die vereinigten Herzogtümer nur sehr begrenzt Gültigkeit besitzt, da nach
einer anfänglichen Politik der „via media“ von Seiten des Landesherrn ab
den 1570er Jahren die katholisch-tridentinische Konfession nicht mehr
einheitlich durchzusetzen war. Dem politischen Patt der
Konfessionsparteien wurde Rechnung getragen, indem man das „cuius regio,
eius religio“-Konzept für diese Region außer Kraft setzte. Sehr deutlich
läßt sich nach Janssen aber der Prozeß der Sozialdisziplinierung
nachzeichnen. Dieser beginnt nicht erst im konfessionellen Zeitalter,
sondern bereits im 15. Jahrhundert. Die spätmittelalterlichen
Vorstellungen von Recht und Ordnung führten nach Janssen quasi
zwangsläufig zu einer Verschmelzung von Kirchen- und Polizeigesetzgebung.
In der politischen Vorstellungswelt des Düsseldorfer Hofes bedrohten
Freiheit und Unzucht nicht allein das Seelenheil, sondern die gesamte
staatliche Ordnung. Neu ist an der Konfessionalisierung nicht das
Zusammenspiel staatlicher und kirchlicher Gewalt – so Janssen –, sondern
die Ablehnung der überkommenen Ordnung durch die Landstände mit der
Berufung auf ihr eigenes Gewissen.
Stephan Laux skizziert in dem Beitrag „Wege und
Grenzen der Konfessionalisierung: Die Kölner Erzbischöfe des 16.
Jahrhunderts als geistliche Oberhäupter und Dynasten“ (S. 49-69) die
wesentlichen personellen Voraussetzungen der Kölner Bistumspolitik im 16.
Jahrhundert. Die Uneinheitlichkeit der Kölner Kirchenpolitik erklärt in
der Tat, warum es den bergischen Herzögen überhaupt möglich war, sich über
einen langen Zeitraum dem „Zwang zur Konfessionalisierung“ zu entziehen.
Dynastische Interessen sowie Versorgungsinteressen des Adels im Domkapitel
bestimmten über weite Strecken die Besetzung des erzbischöflichen Stuhls
in Köln. Nach den Reformationsversuchen des Erzbistums Köln hatte erst
wieder Ferdinand von Bayern Ende des 16. Jahrhunderts Interesse daran, den
Prozeß der Konfessionalisierung wirklich voranzutreiben.
Thomas P. Becker geht in seinem Beitrag „Die
katholische Reform in den Pfarrgemeinden der Christianität Deutz“ (S.
71-111) anhand von Visitationsakten der Frage nach, wie erfolgreich die
katholische Konfessionalisierung überhaupt war. Hier kommt er zu sehr
differenzierten und bemerkenswerten Ergebnissen. Während er die
katholische Konfessionalisierung bei den Klerikern noch als durchaus
erfolgreich bewertet, sieht das Bild bei den Laien ganz anders aus. Hier
behandelt er die verschiedenen Bereiche wie Messdisziplin, Sonntagsruhe,
Christenlehre, Schule sowie Sendgerichtsbarkeit. Abschließend stellt
Becker fest, daß die Konfessionalisierung im Bereich der Laienreform
deutliche Defizite aufweist, länger als bis 1648 andauerte und vor allem
von älteren Bruderschaften der Region getragen wurde.
In dem Beitrag „Die Obrigkeit, die Konfessionen
und die Täufer im Herzogtum Berg 1535-1700“ (S. 113-153) wendet sich
Stefan Ehrenpreis dem Täufertum zu, das mit Ausnahme des
Wiedertäuferreichs in Münster in der Forschung kaum Beachtung findet. Ganz
zu Unrecht, wie Ehrenpreis meint, denn in der Wahrnehmung der Obrigkeit
wurde diese Bewegung noch lange als Kontrapunkt zu einem staats- und
staatskirchlich konformen Verhalten gesehen. So war die Täufer-Gemeinde im
Bergischen Land zwar klein, hatte aber große Wirkung im Bereich der
Sozialdisziplinierung. Sozialdisziplinierende Vorgehensweisen lassen sich
vor allem in und nach dem 30jährigen Krieg beobachten. Ehrenpreis
unterscheidet weiter die Reaktionen der anderen Konfessionen auf diese Art
„Konkurrenz“. So setzten die Katholiken eher auf obrigkeitliche Maßnahmen,
während die Reformierten die Abgrenzung durch die Gemeinde vorantrieben.
Gregor Horstkemper will in seinem Beitrag „‘Wie ein zartt ding es umb das
gewissen sey‘. Konfessionsfragen in den Beziehungen zwischen Hessen und
Jülich-Kleve-Berg in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts“ (S. 153-182)
das politische Umfeld beleuchten, ohne das der Konfessionalisierungsprozeß
nicht richtig verstanden werden kann. Während nach dem „Kölnischen Krieg“
der Druck auf Herzog Wilhem V. wuchs, in seinem Territorium die
katholische Konfession durchzusetzen, änderte dies wenig an der Haltung
des Landgrafen Wilhelm IV. von Hessen gegenüber dem Herzog. Anstatt
ebenfalls Druck von protestantischer Seite aus auszuüben, setzte er auf
Deeskalation. Resümierend stellt Horstkemper daher fest, daß für die
interterritorialen Beziehungen trotz des Konfessionalisierungszwangs
offensichtlich Gestaltungsspielraum bestand.
In einem dritten Abschnitt wird schließlich die
Thematik „Aufbau konfessioneller Strukturen und die Konfessionalisierung
in der Gesellschaft“ behandelt. Wie im vorangehenden Abschnitt sind es
auch hier acht Autoren, die in ebenso vielen Aufsätzen ihre Forschungen
auf diesem Gebiet darlegen: Angefangen bei einem Beitrag über die Anfänge
der Reformation im Bergischen Land (Kurt Wesoly, „Katholisch, lutherisch,
reformiert, evangelisch?“ [S. 291-306]) bis hin zu Jörg Engelbrechts
Versuch, in Anlehnung an Max Weber die Frage nach dem bergischen Geist des
Kapitalismus zu stellen. Den Abschluß des Bandes bildet neben einem
Verzeichnis der Mitarbeiter ein benutzerfreundliches Bibelstellen-,
Personen-, Sach- und Ortsregister.
Zusammenfassend kann man feststellen, daß die
Vielfalt der Aufsätze ein breites Spektrum an Forschungsperspektiven zur
Geschichte der Konfessionalisierung des Herzogtums Berg abdeckt. Wie es
bei einem Sammelband aber nicht anders zu erwarten ist, eignen sich die
einzelnen Beiträge nicht alle gleichermaßen, die von den Herausgebern
gestellten Ausgangsfragen eingehend zu beantworten. Insgesamt bietet der
Band jedoch bemerkenswerte Einsichten bezüglich der
„Konfessionalisierung“. Zwar sind in den letzten fünf Jahren, nach
Abschluß der Tagung, einige Forschungsarbeiten erschienen, die stärker die
„Konfessionalisierung von unten“ und die Akzeptanz und Wahrnehmung der
Kirchenzucht im Blick haben, aber um hier zu einem umfassenden Ergebnis zu
kommen, sind nach wie vor eingehende Studien wünschenswert. Wenn auch
nicht in allen Aufsätzen die theoretischen Fragen und Denkmodelle, die in
der Einleitung benannt werden, explizit durchdiskutiert werden, so zeigen
sie doch, wie differenziert man den Prozeß der „Konfessionalisierung“ im
Herzogtum Berg betrachten muß, und daß das Konzept der
Konfessionalisierung nicht allen Entwicklungsprozessen in der frühen
Neuzeit zu Grunde gelegt werden kann. Das Buch bietet also nicht nur eine
Fülle von Informationen zum Verhältnis von „drei Konfessionen in einer
Region“, sondern regt zu weiteren Diskussionen über das
Konfessionalisierungsparadigma und zu weiteren regionalen Fallstudien an.
Sebastian
Schmidt, Siegen
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