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Rezension aus: Rheinische Vierteljahrsblätter 65 (2001), S. 476-479

Das Konfessionalisierungsparadigma stellt einen zentralen Gegenstand der Frühneuzeitforschung dar, seitdem in den 1980er Jahren Heinz Schilling und Wolfgang Reinhard, ausgehend von einer Verknüpfung des Konzepts der Konfessionsbildung von Ernst Walter Zeeden mit dem der Sozialdisziplinierung von Gerhard Oestreich, eine annähernd zeitlich parallel in allen drei christlichen Konfessionen zu beobachtende Monopolisierung von Kirche und religiösem Leben durch den Staat als Schlüsselmonopol bzw. gesellschaftlichen Fundamentalvorgang frühmoderner Staatsbildung und Modernisierung im Sinne einer Zeitalterthese formuliert haben. Der zunächst stärker etatistischen Sichtweise des Konfessionalisierungskonzepts wird seit Mitte der 1990er Jahre vermehrt eine gemeindlich-kommunale Spielart (Konfessionalisierung von unten) zur Seite gestellt oder auch, wie bei Heinrich Richard Schmidt, dezidiert entgegengehalten. Vor dem Hintergrund dieser Diskussion leistet der vorliegende Sammelband, dessen Aufsätze im wesentlichen auf die Referate einer Tagung der Thomas-Morus-Akademie (Bergisch Gladbach) im Januar 1995 zurückgehen, einen Beitrag zur Regionalisierung der Konfessionalisierungsforschung am Beispiel des gemischtkonfessionellen Herzogtums Berg.

Die zwei einführenden Beiträge setzen sich grundlegend mit der Kontroverse um das Konfessionalisierungsparadigma auseinander und verweisen auf Forschungsdesiderate. Winfried Schulze (Konfessionalisierung als Paradigma zur Erforschung des konfessionellen Zeitalters, S. 15-30) erhebt nach einem Überblick zur historiographischen Bewertung des Zeitraums 1555-1648 Einwände gegen die Einschätzung der Konfessionalisierung als dem Kardinalvorgang der Epoche. Statt dessen plädiert er für eine Anlehnung an das Konzept der Konfessionsbildung nach Ernst Walter Zeeden und weist damit dem Konfessionalisierungsprozeß die Bedeutung eines wichtigen gesellschaftlichen Vorgangs neben und unabhängig von anderen zu.

Stefan Ehrenpreis (Konfessionalisierung von unten. Konzeption und Thematik eines bergischen Modells?, S. 3-13) beschreibt die Entwicklung von Lutheranern und Reformierten im Herzogtum Berg mit einem gemeindlichen Konfessionalisierungsmodell, hält für den dortigen Katholizismus hingegen ein zentralistisch-obrigkeitliches Erklärungsmodell für angemessen. Demgegenüber gelangt der Rezensent aufgrund seiner Studien über die Tätigkeit geistlicher Orden im öffentlichen Schulwesen während der Frühneuzeit zu der Auffassung, daß es sehr wohl auch im katholischen Bereich Formen einer Konfessionalisierung „von unten“ gab. Bei der Konfessionalisierung im Untersuchungsraum handelt es sich nach Ehrenpreis um einen langfristigen Prozeß, der deutlich über die übliche Epochengrenze 1648 hinausreichte. Dem trägt auch der Sammelband in 18 Beiträgen mit seiner zeitlichen Spanne bis ins 18. Jahrhundert Rechnung.

Den zweiten Abschnitt (Politische Strukturen und Konfessionsbildung) eröffnet ein Beitrag von Wilhelm Janssen über „Gute Ordnung als Element der Kirchenpolitik in den Vereinigten Herzogtümern Jülich-Kleve-Berg“ (S. 33-48). Der Verfasser interpretiert die Kirchenpolitik Johanns III. und Wilhelms V. bis in die 1570er Jahre als bewußten und konsequenten Verzicht auf eine Konfessionspolitik, um Religionsstreit zu vermeiden und damit den sozialen Frieden im Innern, die gute Ordnung/„Polizei“ als zentrale Staatszielvorstellung zu wahren.

Stephan Laux (Wege und Grenzen der Konfessionalisierung: Die Kölner Erzbischöfe des 16. Jahrhunderts als geistliche Oberhäupter und Dynasten, S. 49-69) behandelt ausgehend von biographischen Skizzen die Grundzüge der Kölner Kirchenpolitik und betont als Strukturschwächen geistlicher Fürstenstaaten die dynastischen Privatinteressen, die Phasen kurzer Amtsdauer und die daraus resultierende Sprunghaftigkeit politischer Entscheidungen. Von einer Konfessionalisierung im Kölner Erzstift könne erst unter Ferdinand von Wittelsbach gesprochen werden. Das Augenmerk des Verfassers bleibt weitgehend beschränkt auf die Kirchenpolitik der Kölner Erzbischöfe/Kurfürsten. Gleichwohl wäre es auch ein lohnenswertes Unterfangen, einmal die wechselseitigen Einflüsse der Kirchenpolitik in Kurköln und in Jülich-Berg herauszuarbeiten.

Thomas P. Becker (Die katholische Reform in den Pfarrgemeinden der Christianität Deutz, S. 71-111) überprüft auf der Basis von Visitationsprotokollen am Beispiel des Landesdekanates Deutz den Erfolg der Konfessionalisierung auf der Ebene der Pfarrgemeinden vom 16. Bis ins 18. Jahrhundert. Der Autor kommt zu dem Ergebnis, daß die Klerikerreform (u.a. deren Ausbildung, Lebensführung, Sakramentenverwaltung) im 17./18. Jahrhundert zu einem erfolgreichen Abschluß kam, die Laienreform hingegen weiterhin deutliche Defizite (z.B. bei der Sendgerichtsbarkeit) aufwies. Eine Besonderheit des Bergischen Landes stellt nach Becker der Einsatz von Ordensgeistlichen in der Seelsorge und im Schuldienst dar. Hier ist allerdings darauf hinzuweisen, daß dieses Phänomen auch in Territorien mit mehrheitlich protestantischer Bevölkerung und protestantischer Obrigkeit zu beobachten ist, wie etwa in der Grafschaft Mark oder der Reichsstadt Dortmund, wo bestehende Klöster Funktionen in der „Diasporaseelsorge“ und im Schulwesen übernahmen.

Auf der Grundlage umfassender Archivstudien stellt Stefan Ehrenpreis (Die Obrigkeit, die Konfessionen und die Täufer im Herzogtum Berg 1535-1700, S. 113-152) heraus, daß einerseits ungeachtet der qualitativ marginalen Bedeutung der Täufer die Obrigkeit ihnen erhebliche Aufmerksamkeit schenkte, andererseits ein „Trend zur nachgeholten Konfessionalisierung“ (S. 140) bestand, zumal sich erst im Zuge der stetigen Verfolgungen seit 1638 die Täufergemeinden auf wenige Zentren reduzierten. Eine aktive Rolle katholischer Geistlicher ist lediglich bei den Bekehrungsversuchen, nicht aber bei den Verfolgungen nachzuweisen, während sich die Reformierten in ständiger Konkurrenzsituation zu den Täufern sahen und daher um eine deutliche Abgrenzung bemüht waren.

Gregor Horstkemper beschäftigt sich mit Konfessionsfragen in den Beziehungen zwischen Hessen und Jülich-Berg in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (S. 153-182) und greift dabei das Forschungsdesiderat betreffend das Verhältnis der protestantischen Reichsstände zu Herzog Wilhelm V. während seiner konfessionspolitischen Kurswechsel in den 1570er Jahren auf. Einen Einschnitt sieht Horstkemper in dem Scheitern der Gesandtschaft protestantischer Reichsstände im Mai 1575 bei Wilhelm V., nach der ein Eintreten für die Protestanten in den Vereinigten Herzogtümern nicht mehr sinnvoll schien. Durch bewußte Aussparung einer konfessionellen Konfrontation („Deeskalation“) blieb der interterritoriale Kontakt gleichwohl erhalten.

Rudolf Mohr (Konfessionalisierung und katholischer Hof. Eine Leichenpredigt auf die reformierte Herzogin Catharina Charlotte, S. 183-196) untersucht ausgehend von der Leichenpredigt des Hofpredigers Johannes Hundius für die zweite Gemahlin Wolfgang Wilhelms von Pfalz-Neuburg, welchen Anfechtungen der Glaube angesichts einer andersgläubigen Obrigkeit auch in einer Mischehe ausgesetzt war und wie dies zu einer Stärkung der eigenen Überzeugungen und zur Identitätsfindung beitrug.

Bernhard Ruthmann (Die Konfessionalisierung im Bergischen Land und in der Stadt Köln im Spiegel kammergerichtlicher Prozeßtätigkeit, S. 197-227) konstatiert, daß im Gegensatz zur Stadt Köln aus dem Herzogtum Berg so gut wie keine konfessionellen Konflikte am Reichskammergericht ausgetragen wurden. Der Verfasser führt dies zunächst auf die vorkonfessionelle Religionspolitik in den Vereinigten Herzogtümern zurück, nach 1609/14 auf die Möglichkeit, über den possidierenden Fürsten der eigenen Konfession (Brandenburg-Preußen bzw. Pfalz-Neuburg) zu seinem Recht zu kommen. Die Prozeßtätigkeit am Reichskammergericht habe friedensstiftende Wirkung durch verfahrensmäßige Konfliktkanalisierung gehabt und die Entscheidungsunfähigkeit des Reichskammergerichts zudem außergerichtliche Vergleiche gefördert.

Harm Klueting (Protektoren des Protestantismus: Zum religionspolitischen Einfluß protestantischer Grafen im Bergischen Land im 16. Jahrhundert, S. 229-288) behandelt die Einwirkung protestantischer Grafen als Unterherren, Pfandherren oder benachbarte Territorialherren im Zeitraum 1555-1609 auf die Konfessionalisierung (z.B. mittels Kollationsrechten). Als zentrale Gestalt stellt er den Grafen Wyrich VI. von Daun-Falkenstein als Herrn der Unterherrschaft Broich heraus, der u.a. seit 1577 als Vertreter des Grafenstandes auf den Landtagen des Herzogtums Berg für die protestantischen Belange eintrat.

Am Beispiel des dritten Abschnitts (Der Aufbau konfessioneller Strukturen und die Konfessionalisierung in der Gesellschaft) steht ein Beitrag von Kurt Wesoly (Katholisch, lutherisch, reformiert, evangelisch? Zu den Anfängen der Reformation im Bergischen Land, S. 291-306), in dem der Autor darauf hinweist, welche Unsicherheiten noch am Beginn des 17. Jahrhunderts bei der konfessionellen Zuordnung von Pfarrern/Predigern und Gemeinden bestehen, da die Quellenaussagen selbst häufig widersprüchlich sind und im Gottesdienst althergebrachte Formen beibehalten wurden. Das Konfessionsbewußtsein bei den Zeitgenossen habe sich erst langsam herausgebildet.

Ganz ähnlich stellt Volkmar Wittmütz (Kirchenordnung und Konfessionalisierung in reformierten Gemeinden des Niederbergischen, S. 307-319) mit Blick auf die Entstehung von Kirchenordnungen fest, daß das Interesse an einer Konfessionalisierung zunächst gering ausgeprägt war, zumal vielen Gemeindemitgliedern die subtilen Differenzen der Konfessionen nicht bewußt waren. Vielmehr standen zunächst Zweckmäßigkeitserwägungen im Mittelpunkt normierender Vereinbarung, noch ohne biblische Begründung, die Wittmütz als konstitutiv für eine Kirchenordnung hält. Konsistorial- bzw. Gemeindeordnungen gab es in zwei bergischen Gemeinden, nämlich in Elberfeld (1659) und Langenberg (1683), die gleichwohl nach Auffassung von Wittmütz nichts (mehr) zur Schärfung des konfessionellen Profils beitrugen.

Wolfgang Motte (Armenversorgung im 17. Und 18. Jahrhundert, dargestellt am Beispiel der reformierten Gemeinde Radevormwald, S. 321-350) wertet die Armenrechnungsbücher der seit 1591 bestehenden reformierten Gemeinde Radevormwald aus. Der Verfasser bietet Informationen über Qualifizierung, Amtsübertragung, Aufgaben und Zuständigkeit der Armenprovisoren, denen auch die Kontrolle (Disziplinierung) der Armen oblag. Ausführlich und mit quantifizierenden Aussagen werden die Finanzverhältnisse geschildert.

Hans Joachim de Bruyn-Ouboter (Konfessionalisierung des Schulwesens? Das Beispiel der Barmer Schule von 1579, S. 351-405) beschäftigt sich mit der Gründungsgeschichte der Barmer Schule und deren Fortentwicklung bis ins 19. Jahrhundert vor dem Hintergrund der konfessionellen Auseinandersetzungen zwischen Lutheranern und Reformierten. Die Bildungsanstalt war ein Instrument in diesen Auseinandersetzungen und zugleich Vorstufe zur reformierten Gemeindeorganisation. Der Autor korrigiert die bisherige Forschungsmeinung, es handle sich von Anfang an um eine calvinistische Schule. Noch bis 1717 (endgültige Fortführung als reformierte Rektoratsschule) sind mindestens drei Lutheraner als Rektoren nachzuweisen.

Wera Groß (Die Kirchen des ‚Bergischen Typs‘ als prägende Elemente der Kirchenlandschaft im Bergischen Land des 18. Jahrhunderts, S. 407-445) nimmt in einem mit dokumentierendem Bildmaterial ausgestatteten Beitrag aus kunsthistorischer Sicht eine Typologisierung des protestantischen Kirchenbaus vor, wie er sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts angekündigt und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts durchgesetzt hat („Bergischer Bauernbarock“).

Burkhard Dietz (Köln und die bergischen Protestanten in der Frühen Neuzeit. Phasen und Strukturen eines ambivalenten sozioökonomischen Wechselverhältnisses, S. 447-467) betrachtet die Beziehungen zwischen protestantischer Bevölkerung in Köln und im Herzogtum Berg als Beispiel für die Zustände zwischen einer katholischen Metropole und einem gemischtkonfessionellen Hinterland mit protestantischer Dominanz. Der Autor entwickelt ein Sieben-Phasen-Modell für den Zeitraum 1517-1789/1802 mit einem Wechsel von stärkerer Repression und größeren Freiheiten der Kölner Protestanten. Von der Auswanderung wirtschaftlich potenter Protestanten aus Köln in das Umland profitierte das bergische Umland (Verschärfung wirtschaftsgeographischer Gegensätze) und zugleich wurde die Abgrenzung der Territorien durch den konfessionellen Gegensatz gefördert (Minderung konfessionspolitischer Gegensätze).

Jörg Engelbrecht (Die bergische protestantische Ethik und der bergische Geist des Kapitalismus, S. 469-480) hebt in seinem Aufsatz hervor, daß die Träger der gemeindlichen Selbstverwaltung in den protestantischen Klassen und Synoden zugleich der wirtschaftlichen Führungsschicht angehörten, aus deren Familien wiederum viele Geistliche hervorgingen. Das bergische Wirtschaftsbürgertum zeichne sich durch zweckrationales ökonomisches Denken und durch eine konservative Wirtschaftsethik aus, die noch vom Zusammenhang zwischen ökonomischem Erfolg und individuellem Heilsschicksal ausging. Erst in der um 1770 geborenen Generation bergischer Unternehmer lasse sich eine Säkularisierung des Denkens nachweisen. Das Resultat war nach Engelbrecht eine gebremste kapitalistische Entwicklung.

Wolfgang Degenhardt (Uneinheitliche Landschaften. Die Konfessionalisierung des Siegerlandes in vergleichender Perspektive zum Bergischen Land, S. 481-496) schließlich streicht gegenüber älteren Forschungsmeinungen heraus, daß es sich zum einen im Siegerland wie im Herzogtum Berg nicht um eine konfessionell einheitliche Struktur handelte, sondern um wechselnde konfessionelle Mehrheiten und qualifizierte Minderheiten. Zum anderen relativiert der Verfasser den Stellenwert des von der Forschung bislang viel beachteten reformierten Pietismus im Siegerland.

Der sorgfältig redigierte und durch ein ausführliches Orts-, Personen- und Sachregister erschlossene Band überzeugt insgesamt in seiner zeitlichen und höchst anregenden thematischen Breite.

Johannes Kistenich, Marburg

 

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