"Es bleibt zu wünschen, dass die von
Burkhard Dietz ins Leben gerufene Helling-Forschung fortgesetzt wird."
- Mit diesem bezeichnenden Satz beschließt Prof. Dr. Wolfgang Keim,
Lehrstuhlinhaber für Erziehungswissenschaft an der Universität-Gesamthochschule Paderborn und Herausgeber der
renommierten Schriftenreihe "Studien zur Bildungsreform", sein
Geleitwort.
Das bezog sich auf den soeben
veröffentlichten 43. Band seiner Publikationsreihe, der sich
ausschließlich mit dem Leben und Werk des international hoch
geachteten Schwelmer Gymnasialdirektors, Reformpädagogen und
Wissenschaftlers Fritz Helling auseinandersetzt. Herausgeber des 487
Seiten starken Werkes ist der in Schwelm lebende Historiker und
Germanist Dr. Burkhard Dietz.
Dr. Dietz hat in der vorliegenden Studie die
Ergebnisse des Helling-Symposiums zusammen getragen, das er im
vergangenen Jahr auf eigene Initiative in der Kreisstadt mit
Unterstützung zahlreicher Experten sowie der Wilhelm-Erfurt-Stiftung
für Kultur und Umwelt, des Vereins Elternspende des Märkischen
Gymnasiums und des Forschungsinstituts Arbeit, Bildung, Partizipation
der Ruhr-Universität Bochum ausgerichtet hatte. Aus
unterschiedlichsten Perspektiven wird der Pädagoge und der Mensch
Fritz Helling (1888-1973), den Dr. Dietz als "einflußreichen
Vordenker, Initiator und kulturpolitisch-pädagogischen Funktionär"
beschreibt, von Historikern, Pädagogen, Philologen und Theologen
"beleuchtet".
Dabei ruht die Thematik nicht allein in der
pädagogischen und historischen Feinarbeit der namhaften Autorinnen und
Autoren. Vornehmlich von seinen ehemaligen Schülerinnen und Schülern
abgegebene Aussagen als "Zeitzeugen" sowie der erstmals von den
Experten ausgewertete Text von Hellings Autobiographie schaffen nun
auch klarere Umrisse des Menschen Fritz Helling. Seine
reformpädagogischen Ideen und Konzepte, seine programmatische Arbeit
zur Neuen Erziehung finden explizit ihren Niederschlag in mehreren
Aufsätzen des Buches. Die Wirkung unterschiedlichster politischer
Strömungen auf das Leben und Wirken Hellings untersucht Dr. Dietz. Er
widmet sich in einem seiner Beiträge auch dem Menschen Helling, der
nach Amtsenthebung und Verfolgung im "Dritten Reich" sowie einer
kurzen, aber höchst wirkungsvollen Zeit als Direktor des Schwelmer
Gymnasiums in den 50er und 60er Jahren aufgrund seiner sozialistischen
Weltanschauung und seiner intensiv gepflegten Ost-Kontakte erneut
diskriminiert wird.
"Edel-Kommunist"
Den Aufbau des höheren Schulwesens in Schwelm
und Nordrhein-Westfalen nach 1945 hat der jetzige Leiter des
Gymnasiums, Jürgen Sprave, in einem ausführlichen Beitrag untersucht
und dabei erstmals die konkreten Formen der reformpädagogischen
Maßnahmen, die frühe Differenzierung der Oberstufe und die Einrichtung
von Werkkursen, dargestellt wie sie unter Hellings Ägide in den späten
1940ern am Gymnasium durchgesetzt wurden.
"Schwelm hat ihn nicht verstanden" - ist die
eindeutige Aussage der Arbeit, die Georg Dieker-Brennecke, Pädagoge am
Gymnasium, durch die Befragung von Zeitzeugen entwickelt hat. Mit
Unverständnis reagierten auch kürzlich noch einige Mitbürger auf die
umstrittene Person Helling, aber die befragten Schüler und Bekannten
erlebten und beschrieben den von seinen Kritikern als "Edel-Kommunist"
titulierten Helling durchweg als höchst toleranten und integeren
Lehrer.
Die Fortsetzung der wissenschaftlichen
Forschung über Fritz Helling wäre für den Historiker Dr. Burkhard
Dietz ein sehr wünschenswerter Auftrag für die Zukunft. Ob Schwelm
ihn, Helling, verstehen wird, erscheint indes zweifelhaft. Denn die
durch die vielbeachtete Tagung im März 2002 erneut offenbarte
Anerkennung und Wertschätzung von Fritz Helling scheint sich nach
Einschätzung von Dr. Dietz doch eher auf das
wissenschaftlich-pädagogische Umfeld seines Wirkens zu beschränken.
Bemühungen um die Einrichtung eines
Fritz-Helling-Dokumentationszentrums oder Fritz-Helling-Archivs, die
Gründung einer Fritz-Helling-Gesellschaft, die Umbenennung des
Schwelmer Gymnasiums in Fritz-Helling-Gymnasium oder zumindest die
Widmung einer Straße nach Fritz Helling wären vielleicht ein Indiz
dafür, dass sich Schwelm im neuen Jahrtausend darum bemühte, das
Ansehen dieses bedeutenden Aufklärers und Pädagogen zu würdigen - wenn
sie ihn schon nicht verstehen. Der vorliegende Band, eine der seit
langem wichtigsten und profundesten Veröffentlichungen zur
Stadtgeschichte Schwelms, unterbreitet ein reiches Angebot, um sich
über einen der großen Söhne der Stadt, gesellschaftlichen Wandlungen
und das politische Klima im 20. Jahrhundert zu informieren. Das
eventuelle Verstehen hätte dann immerhin eine Grundlage.
Autobiographie
Schon jetzt darf man daher gespannt darauf
sein, wenn Dr. Dietz im kommenden Jahr (als Ergänzung zum vorliegenden
Band) in derselben Schriftenreihe die kommentierte Edition von Fritz
Hellings Autobiographie "Mein Leben als politischer Pädagoge"
veröffentlicht.
Burkhard Dietz (Hrsg.): Fritz Helling,
Aufklärer und "politischer Pädagoge" im 20. Jahrhundert.
Interdisziplinäre Beiträge zur intellektuellen Biographie,
Wissenschaftsgeschichte und Pädagogik (Studien zur Bildungsreform,
hrsg. v. Wolfgang Keim, Bd. 43), Frankfurt a.M.: Peter Lang
Verlag,ISBN 3-631-51546-4. |