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Schwelmer Sputnik-Forscher verstorben

(WESTFÄLISCHE RUNDSCHAU, 29.01.2008)

Wie jetzt erst bekannt wurde, ist schon am 21. Dezember 2007 der aus Schwelm stammende Raketenforscher Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c. mult. Werner Albring in Dresden im Alter von 93 Jahren gestorben. Albring war maßgebend an der Entwicklung von Modellen der Trägerraketen beteiligt, mit denen die Sowjetunion 1957 den „Sputnik“ als ersten Satellit in eine Erdumlaufbahn schoss.

Albring wurde am 26. September 1914 in Schwelm geboren, wo sein Vater, Stefan Albring, seit 1912 als Studienrat am städtischen Gymnasium tätig war und später zusammen mit Fritz Helling zu einer Gruppe von sozialistisch orientierten Reformpädagogen gehörte, die im Unterricht und öffentlich entschieden gegen den heraufziehenden Nationalsozialismus ankämpften. Im Jahr 1933, als Werner Albring am Schwelmer Gymnasium Abitur machte, wurde sein Vater wegen seiner Ablehnung des NS-Regimes strafversetzt. Kaum weniger oppositionell stand offensichtlich auch der 18-jährige Abiturient der neuen autoritären Regierung gegenüber, denn nur wenige Wochen nach der sog. „Machtergreifung“ Hitlers bekannte der junge Werner Albring freimütig in einem biographischen Rückblick für die Schule: „Wie mein Vater kämpfte ich tapfer für Republik und ‚Schwarz-Rot-Gold‘. Die Feststellung, immer bei der Minorität zu stehen, spornte mich an, meinen Standpunkt geistig zu unterbauen.“

Den ursprünglichen Wunsch Jura zu studieren, versagte sich Werner Albring angesichts der politischen Lage und wandte sich statt dessen dem Fach Maschinenbau zu, das er 1934-1939 an der Technischen Hochschule Hannover nicht zuletzt aufgrund seiner ausgeprägten Interessen auf dem Gebiet der modernen Technik und eines großen zeichnerischen Talents besonders erfolgreich absolvierte. So wurde er gleich nach dem Studium Assistent in Hannover und promovierte 1941 mit der Studie „Kraftmessungen am schwingenden Tragflügel“ zum Doktor der Ingenieurwissenschaften.

Die innovativen Ergebnisse der Dissertation wiederum qualifizierten ihn dazu, 1941-1945 die stellvertretende Leitung des Instituts für Aeromechanik und Flugzeugtechnik in Hannover zu übernehmen. So harmlos dies heute auf den ersten Blick klingen mag, das Gegenteil war der Fall. Denn tatsächlich wurden hier für Hitlers Armeen, die sich bekanntlich seit 1939 im Krieg mit weiten Teilen der Welt befanden, Forschungsarbeiten mit höchster rüstungspolitischer Relevanz durchgeführt: Man experimentierte nicht nur an der strömungstechnischen Verbesserung der V1- und V2-Raketen für die Heeresversuchsanstalt Peenemünde auf Usedom und damit für den Beschuß Englands, sondern auch an Torpedos für U-Boote und an Düsenjets für Überschallflugzeuge, mit denen die Luftwaffe ausgerüstet und der deutsche „Endsieg“ doch noch gesichert werden sollte. Kein Wunder also, dass Werner Albring durch seine Tätigkeit dem Dienst an der Waffe entgehen konnte und seit Kriegsbeginn permanent unabkömmlich gestellt wurde.

Nach dem Zweiten Weltkrieg schloß sich Albring einer Gruppe von deutschen Raketenspezialisten an, die unter der Leitung von Helmut Gröttrup, dem ehemals engsten Mitarbeiter Wernher von Brauns aus Peenemünde, im thüringischen Bleicherode V2-Raketen für die Sowjets nachbauten. Gröttrup war zwar wie Wernher von Braun zuvor von amerikanischen Truppen gefangengenommen worden, dann aber zu den Sowjets übergelaufen, von denen er sich mehr Vorteile und Unterstützung versprach. Schon im Herbst 1946 hatte Gröttrup in Bleicherode, wo er die Räumlichkeiten des ehemaligen KZs Mittelbau-Dora nutzen konnte, einen technischen Großbetrieb mit rund 5000 Beschäftigten aufgebaut, in dem nun raketentechnische Entwicklungsarbeiten durchgeführt wurden. Hier, unter Gröttrups Führung, wurde Werner Albring Abteilungsleiter für Aerodynamik, was für ihn und seine noch junge Familie nicht nur ein geregeltes Einkommen und existenzielle Sicherheit bedeutete.

Doch sollte diese Sicherheit bald ein jähes Ende finden. Denn im Oktober 1946 wurde Albring zusammen mit 150 ausgewählten Experten und deren Familien in einer geheimen Blitz-Aktion der Roten Armee nach Russland auf die im Seligersee gelegene Insel Gorodomlia deportiert. In strenger Abgeschiedenheit und unter militärischer Bewachung arbeiteten hier die ehemaligen „Himmelsstürmer Hitlers“ nun an der Realisierung von Stalins Raumfahrtplänen, wobei Albring maßgeblichen Anteil an der Entwicklung und Konstruktion von Modellen für Trägerraketen hatte, die 1957 den sowjetischen „Sputnik“ als ersten Satelliten in eine Erdumlaufbahn schossen. Über dieses wenig bekannte Kapitel der deutschen Technik- und Wissenschaftsgeschichte hat Werner Albring 1991 mit seinem Buch „Gorodomlia – Deutsche Raketenforscher in Russland“ einen packenden Erlebnisbericht veröffentlicht, der seinerseits wiederum Anlaß zu mehreren filmischen Aufarbeitungen gab.

1952 kehrte Albring aus der UdSSR zurück, ließ sich mit seiner Familie in der DDR nieder und wurde Ordentlicher Professor und Direktor des von ihm neu gegründeten Instituts für Angewandte Strömungslehre an der Technischen Hochschule Dresden, eine Funktion, die er bis zu seiner Emeritierung 1979 mit großem akademischem und öffentlichem Erfolg ausfüllte. Hofiert und vielfach geehrt von politischen Funktionären und akademischen Instanzen des Ostblocks sowie später von Akademien der wiedervereinigten Bundesrepublik, verbrachte Albring auch nach seiner Emeritierung einen sehr aktiven Ruhestand. Seiner Heimatstadt Schwelm blieb der vornehme und zurückhaltende, gleichwohl aber bis zuletzt äußerst geistreiche und anregende Werner Albring immer sehr verbunden. Wiederholt kam er nach Schwelm, so zuletzt im Jahre 2005, als er von Bürgermeister Dr. Steinrücke offiziell empfangen wurde (die WR berichtete am 18.5.2005) und am Märkischen Gymnasium, seiner alten Schule, einen ebenso bewegenden wie lehrreichen Vortrag zum Thema „Das Leben der Schule, die Schule des Lebens“ hielt, mit dem er der Jugend Optimismus und Mut zur eigenen Zukunftsgestaltung vermitteln. Die Stadt Schwelm hat mit Werner Albring zweifellos einen ihrer großen Söhne verloren, dem ein ehrendes Andenken stets gewiß sein sollte.

Die Bedeutung von Werner Albrings Forschungs- und Entwicklungsarbeiten für die Luft- und Raumfahrt trug ihm im Laufe seines langen und aktiven Lebens zahlreiche wissenschaftliche und politische Ehrungen ein:

  • 1959 Berufung in die Akademie der Wissenschaften der DDR,
  • 1972 Nationalpreis der DDR,
  • 1984 Evangelische Forschungsakademie in Ost-Berlin,
  • 1985 Ehrendoktor der Technischen Universität Leningrad,
  • 1991 Ehrendoktor der Technischen Universität Budapest,
  • 1994 Berufung in die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
  • 1995 Ludwig Prandtl-Ring der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt
  • 2004 Ehrenmitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften

 

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